17 Juli 2012

Was tun für den Rechtsstaat in Rumänien?

Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit […]. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten […] gemeinsam […].

Das rumänische Parlament sieht von außen nach Zuckerbäcker aus. Innen tobt die Schlammschlacht.
Jetzt also Rumänien. Fast hatten wir uns schon daran gewöhnt, dass mit Ungarn ein europäisches Land dabei ist, in den Autoritarismus abzugleiten, ohne dass die Europäische Union viel dagegen tun kann. Nun aber beobachten wir zum zweiten Mal innerhalb von zwölf Monaten, wie ein Mitgliedstaat in eine Verfassungskrise taumelt. Und als ob wir an der Euro-Krise nicht schon genug hätten, stehen die Europäer wieder vor der Frage, welche Mittel sie eigentlich in der Hand haben, um Rechtsstaatlichkeit und demokratische Prinzipien in der gesamten Union zu sichern.

Eine Cohabitation

Zu den Hintergründen: Das politische System Rumäniens ist ungefähr dem französischen nachempfunden. Ein direkt gewählter Präsident teilt sich die exekutive Macht mit einer Regierung, die das Vertrauen des Parlaments benötigt. Anfang Mai dieses Jahres nun kam es zu dem, was man in Frankreich als Cohabitation bezeichnet: Die dem Präsidenten Trajan Băsescu nahestehende konservative Partei PD-L (EVP) musste in die Opposition, während ihre Konkurrenten PSD (SPE) und PNL (ELDR) eine Regierung unter dem sozialdemokratischen Premierminister Victor Ponta bildeten.

Schon aus Frankreich weiß man, dass eine solche Cohabitation häufig zu politischen Blockaden führt. In Rumänien kamen dazu persönliche Animositäten zwischen Präsident und Premier sowie eine traditionell konflikt- und kabalenreiche politische Kultur. Ende Juni nun eskalierten die Spannungen, als das rumänische Verfassungsgericht entschied, dass künftig nicht mehr der Premierminister, sondern (wie in Frankreich) der Präsident das Land bei den Gipfeltreffen des Europäischen Rates vertreten sollte. Ponta ignorierte diese Entscheidung nicht nur, sondern begann zudem die Absetzung Băsescus zu betreiben.

Amtsenthebungsverfahren und Verfassungskrise

Der genaue Verlauf dieses Verfahrens und der damit verbundenen Intrigen ist einigermaßen verwickelt, deshalb nur das Wichtigste in aller Kürze (eine ausführlichere Darstellung der Entwicklungen bis letzte Woche lässt sich zum Beispiel hier nachlesen): Nachdem das rumänische Parlament am 4. Juli für die Absetzung Băsescus stimmte, wurde wie von der Verfassung vorgesehen für den 29. Juli ein Referendum angesetzt, in dem über den Amtsverbleib des Präsidenten entschieden werden soll. Umfragen sagen dabei eine Mehrheit gegen Băsescu voraus, wobei jedoch die Wahlberechtigung unter 50 Prozent bleiben würde, womit das Referendum ungültig und das Absetzungsverfahren gescheitert wäre. Die Regierung änderte deshalb kurzerhand das Referendumsgesetz, um das 50-Prozent-Quorum abzuschaffen. Dies wiederum wurde am 10. Juli vom Verfassungsgericht als verfassungswidrig zurückgewiesen. So weit, so unschön, aber doch weitgehend im Rahmen normaler parteipolitischer Aggressionen.

Dann aber wandte die Regierung einen Trick an, der aus der politischen eine konstitutionelle Krise machte: Außer auf regulärem Weg verabschiedete sie die Änderung des Referendumsgesetz auch in Form einer Notverordnung, die zwar ziemlich offensichtlich ebenfalls verfassungswidrig war, gegen die jedoch nur der nationale Ombudsmann eine Verfassungsklage einlegen kann. Dieser wiederum war am 3. Juli entlassen und durch einen Vertrauten der Ponta-Regierung ersetzt worden. Außerdem schränkte die Regierung durch ein weiteres Notdekret die Kompetenzen des Verfassungsgerichts bei der Überprüfung von Parlamentsentscheidungen ein und drohte recht offen damit, einen Weg zu finden, um unliebsame Richter auszutauschen. Damit aber ist nicht nur unklar, was passieren wird, wenn das Referendum wie erwartet das Quorum verpasst – sondern auch die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts insgesamt gefährdet.

Kein Ungarn, aber ein Anschlag auf den Rechtsstaat

Nun sollten keine Zweifel daran aufkommen, dass die Entwicklungen in Rumänien nicht die Ausmaße der demokratischen Krise in Ungarn erreichen. In Ungarn wurden durch die neue Verfassung und insbesondere durch das neue Mediengesetz die Rechte der einzelnen Bürger, etwa die freie Meinungsäußerung und der Schutz von Minderheiten, in sehr viel stärkerer und dauerhafterer Weise eingeschränkt. In Rumänien dagegen handelt es sich zunächst einmal nur um eine Krise innerhalb des politischen Systems, in der mit harten Bandagen und schmutzigen Tricks gekämpft wird, die sich aber nicht unmittelbar auf die einzelnen Bürger auswirkt. In Ungarn geht es um fundamentale Grundrechte, in Rumänien nur um das institutionelle Gleichgewicht zwischen den Verfassungsorganen.

Dennoch aber kann das Vorgehen der Regierung Ponta der Europäischen Union nicht egal sein. Es ist nur zu offensichtlich, dass die Notverordnungen und die Absetzung des Ombudsmanns darauf abzielten, die Kompetenzen des Verfassungsgerichts zu untergraben, um für die Regierung unliebsame Entscheidungen zu verhindern. Damit aber werden grundsätzliche rechtsstaatliche Prinzipien verletzt, die nach Art. 2 EU-Vertrag zu den Werten der EU gehören.

Der Schengen-Beitritt als Druckmittel

Als Mittel gegen solche Fälle ist eigentlich Art. 7 EU-Vertrag vorgesehen. Ihm zufolge kann einem Mitgliedstaat, der eine „schwerwiegende und anhaltende Verletzung der in Artikel 2 genannten Werte“ begeht, das Stimmrecht im Ministerrat entzogen werden. Wie jedoch bereits Ungarn zeigte, läuft diese Bestimmung in der Praxis ins Leere: Bedingung für eine Sanktion nämlich wäre ein einstimmiger Beschluss aller übrigen Mitgliedstaaten, und niemand erwartet ernsthaft, dass es einen solchen geben wird.

Die Kommission griff deshalb, ebenfalls wie schon im Januar, zu einer indirekten Methode: Während sie damals die ungarische Regierung bei ihrer finanziellen Abhängigkeit von europäischen Finanzhilfen zu packen versuchte, ist es im rumänischen Fall der Wunsch der Regierung nach einem Beitritt zum Schengen-Raum. Dieser war ursprünglich für 2011 vorgesehen, scheiterte seitdem jedoch immer wieder an einem niederländischen Veto: Aufgrund der hohen Korruption im Verwaltungssystem könne Rumänien die Sicherung der gemeinsamen Außengrenzen nicht gewährleisten. Seitdem hängt die rumänische Hoffnung auf einen Schengen-Beitritt an den regelmäßig von der Kommission erstellten Fortschrittsberichten über die Korruptionsbekämpfung. Und da der nächste dieser Berichte in dieser Woche veröffentlicht werden soll, drohte die Kommission damit, darin auch die jüngsten Vorfälle zu thematisieren und ein entsprechend schlechtes Zeugnis auszustellen.

Bei einem Treffen mit Regierungschef Ponta präsentierte Kommissionspräsident José Manuel Durão Barroso (PSD/EVP) diesem deshalb einen Katalog mit elf recht unverblümten Forderungen: Insbesondere solle die rumänische Regierung die Notverordnungen wieder zurücknehmen und den früheren Ombudsmann wieder einsetzen. Ponta versicherte zunächst, sämtliche dieser Forderungen erfüllen zu wollen, rückte davon jedoch kurz darauf wieder ab und erklärte, er könne keine Versprechen in Fragen geben, die nicht in die Verantwortung der Regierung, sondern des Parlaments fielen. Parlamentspräsident Crin Antonescu (PNL/ELDR), der bis zu dem geplanten Referendum die Amtsgeschäfte des suspendierten Băsescu führt, ging sogar noch einen Schritt weiter: Derartige Forderungen der Kommission könne es gar nicht geben, da dies eine „unvorstellbare Überschreitung der Kompetenzen von Herrn Barroso“ wäre.

Die Kompetenzen der Kommission

Und wirklich stellt sich – wie schon im Falle Ungarns – die Frage, ob das Vorgehen der Europäischen Kommission wirklich so eine glückliche Lösung ist. Natürlich besteht zwischen der Korruption, die dem Schengen-Beitritt im Wege steht, und der Verfassungskrise jetzt ein etwas engerer Zusammenhang als zwischen den Finanzproblemen und dem Mediengesetz in Ungarn. Doch in beiden Fällen bleibt es ein eigentümliches Spiel über Bande, wenn Angriffe nationaler Regierungen gegen die Grundwerte der EU nur auf so indirekte Weise beantwortet werden können.

Denn davon abgesehen, dass dieses Mittel immer voraussetzt, dass die betroffene Regierung in der ein oder anderen Weise von der Kommission abhängig ist, ist auch das Argument von Crin Antonescu nicht ganz falsch. Gewiss, die Ernennung eines regierungstreuen neuen Ombudsmanns war von sehr zweifelhafter Legitimität. Aber kann es wirklich die Aufgabe der Kommission sein, der rumänischen Regierung nun die Wiedereinsetzung seines Vorgängers vorzuschreiben und sich damit in die nationale Personalpolitik einzumischen? Wenn Verletzungen der Rechtsstaatlichkeit nicht als solche geahndet, sondern nur durch politischen Gegendruck bekämpft werden können, dann überschreitet leicht auch die Kommission ihre Zuständigkeiten, und die Grenzen der politischen Verantwortung beginnen zu verschwimmen.

Es wäre nützlich, wenn die supranationalen Institutionen der EU auf Verstöße gegen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten anders reagieren könnten. Am besten wäre es wohl, Art. 7 EUV so zu verschärfen, dass künftig nicht mehr ein einstimmiger Beschluss des Rates, sondern ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs genügt, um die „schwerwiegende und anhaltende Verletzung“ der EU-Grundwerte durch einen Mitgliedstaat festzustellen. Erst dadurch würde dieser Sanktionsmechanismus Zähne bekommen und die nationale Demokratie der Mitgliedstaaten auch auf europäischer Ebene abgesichert. Sich in so wichtigen Fragen wie dieser auf eine informelle Machtausübung der Kommission zu verlassen, ist hingegen auf die Dauer keine besonders tragfähige Alternative.

Und was macht die SPE?

Eine Institution gibt es allerdings, die gut dafür geeignet wäre, politisch auf nationale Regierungen einzuwirken: die europäischen politischen Parteien. Anders als die Europäische Kommission haben sie keine formelle Macht, sodass auch nicht das Risiko einer Kompetenzüberschreitung besteht. Dennoch stehen ihnen Mittel zur Verfügung, um politischen Druck auszuüben, denn um europapolitisch wirken zu können, ist jede nationale Partei auf das Netzwerk angewiesen, das ihnen nur ihre europäische Dachorganisation bieten kann.

Ich habe es hier deshalb wiederholt kritisiert, dass die Europäische Volkspartei angesichts der Entwicklungen in Ungarn nicht nur keine klaren Worte gegenüber ihrer Mitgliedspartei Fidesz gefunden, sondern dieser auch noch Rückendeckung gegeben hat. In Rumänien nun sind die parteipolitischen Vorzeichen umgekehrt, und so fiel es der EVP diesmal sehr leicht, die Regierung Ponta in gleich zwei scharf formulierten Pressemitteilungen zu kritisieren und ihr „machthungrige Absichten“ und einen „galoppierenden Autoritarismus“ vorzuwerfen.

Wie aber reagierten die europäischen Sozialdemokraten, zu denen Pontas PSD gehört? Kurz gesagt: leider kaum besser als die EVP gegenüber der Fidesz. Am vergangenen Donnerstag veröffentlichte die SPE jedenfalls eine Pressemitteilung, in der sie der rumänischen Regierung ihre „volle Unterstützung“ versicherte, den „Opportunismus“ der EVP angriff und erklärte, Ponta behebe lediglich die „demokratischen Ungleichgewichte“, die die frühere konservative Regierung hinterlassen habe. Immerhin gab es gleichzeitig mit Martin Schulz (SPD/SPE), dem Präsidenten des Europäischen Parlaments, auch einen prominenten Sozialdemokraten, der die Vorgehensweise Pontas kritisierte. Aber dennoch: Es scheint, als ob auch die SPE sich sehr viel leichter tut, den Splitter im Auge der EVP als den Balken im eigenen zu sehen.

(Die europäischen Liberalen, deren Mitgliedspartei PNL ja ebenfalls an der rumänischen Regierung beteiligt ist, reagierten unterdessen eher zurückhaltend und baten zunächst einmal in einem Brief die Kommission um weitere Informationen. Die Europäische Grüne Partei, die in Rumänien nicht nennenswert vertreten ist, fand fast ebenso scharfe Töne wie die EVP, warnte allerdings auch davor, das Thema zu einer „Schlammschlacht zwischen den rechten und linken Parteienfamilien Europas ausarten“ zu lassen.)

Ponta sollte zurücktreten

Vor zwei Wochen übrigens wurden Vorwürfe gegen Victor Ponta erhoben, er habe einen Großteil seiner Dissertation plagiiert. In einem Interview mit El País kündigte er damals an, er werde zurücktreten, wenn sich die gegen ihn erhobenen Vorwürfe bewahrheiten würden. Inzwischen hat die zuständige rumänische Nationale Kommission zur Bescheinigung akademischer Titel, Diplome und Zertifikate die Vorwürfe bestätigt (wurde dann allerdings von der Regierung aufgelöst, bevor sie das Ergebnis der Untersuchung offiziell bekannt geben konnte).

Wenn die europäischen Sozialdemokraten nun einen Ausweg aus der Krise suchen, dann sollten sie am besten damit beginnen, Ponta auf diese Ankündigung hinzuweisen. Und auch Băsescu müsste sich die Frage stellen, ob er die Präsidentschaft noch sinnvoll wird ausüben können, wenn bei dem Referendum tatsächlich eine Mehrheit gegen ihn stimmt und das Amtsenthebungsverfahren lediglich am Quorum scheitert. Es wird wohl eine Weile dauern, bis die institutionellen Wunden, die die derzeitige Verfassungkrise in Rumänien aufgerissen hat, wieder verheilt sind. Auf jeden Fall aber ist es ziemlich offensichtlich, dass weder Trajan Băsescu noch Victor Ponta die richtigen Personen sind, um einen politischen Neuanfang zu machen und den demokratischen Grundkonsens im Land wiederherzustellen. Vermutlich wäre es für Rumänien das Beste, wenn sie beide ihren Rücktritt erklären würden.

Bild: By Julienbzh35 at fr.wikipedia [CC-BY-1.0], from Wikimedia Commons.

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