30 August 2014

Wer wird was? Welche Herausforderungen auf die neue Kommission zukommen und welche Kandidaten sie angehen wollen

Kommissionspräsident Juncker (rechts) ist schon designiert, Ratspräsident Tusk (links) wird wohl heute gewählt. Aber die EU hat noch viele weitere wichtige Ämter zu besetzen.
Als der EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy (CD&V/EVP) gestern Nachmittag in dem Gebäude ankam, in dem der Europäische Rat heute über seinen Nachfolger und über die neue Hohe Vertreterin für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik entscheiden will, begrüßte er die wartenden Journalisten mit einem grinsenden „Itʼs done!“ Später wurde das dann von anderer Seite zwar wieder relativiert. Insgesamt aber dürfte der Gipfel die Personalfrage doch recht schnell erledigen: Nachdem die Vergabe der EU-Spitzenjobs im Juli noch an der komplizierten Machtarithmetik der Mitgliedstaaten gescheitert war, zeichneten sich in den letzten Tagen zwei klare Favoriten ab – nämlich der derzeitige polnische Premierminister Donald Tusk (PO/EVP) für die Ratspräsidentschaft und die italienische Außenministerin Federica Mogherini (PD/SPE) als Hohe Vertreterin.

Über die Frauenquote ist Ärger vorprogrammiert

Noch kein endgültiger Beschluss wird hingegen für die Besetzung der weiteren Kommissionsmitglieder erwartet. Auch hier dürfte es allerdings nur noch um Feinarbeit gehen: Fast alle Mitgliedsregierungen haben inzwischen einen Kandidaten aus ihrem jeweiligen Land vorgeschlagen, und in vielen Fällen ist auch schon klar, welches Portfolio die neuen Kommissare gerne hätten (eine Übersicht dazu ist hier zu finden). Die endgültige Entscheidung über die Ressortverteilung wird Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (CSV/EVP) also in den nächsten Tagen treffen.

Sein Hauptproblem ist dabei nach wie vor der geringe Frauenanteil unter den Vorschlägen der Mitgliedstaaten: Selbst bei optimistischer Rechnung werden von den 28 Kommissionskandidaten nur acht weiblich sein – was deutlich hinter den Forderungen des Europäischen Parlaments zurückbleibt. Insbesondere der christdemokratische Fraktionsvorsitzende Manfred Weber (CSU/EVP) hat die Zustimmung seiner Fraktion zu einer Kommission mit so wenig Frauen „definitiv“ ausgeschlossen. Ärger ist also vorprogrammiert, aber erst im September oder Oktober. Heute hingegen dürften die Staats- und Regierungschefs erst einmal ihrer Selbstzufriedenheit Ausdruck verleihen, dass sie aus ihrer Sicht alles getan haben, um das neue europäische Personaltableau zu füllen.

Und wie geht es dann weiter? An Herausforderungen für die EU besteht jedenfalls kein Mangel: Hier einige der Aufgaben, mit denen die neuen Kommissionsmitglieder in ihrer Amtszeit konfrontiert sein werden.

Die Eurokrise und der Währungskommissar

Das wichtigste Problem der EU dürfte auch in den nächsten Jahren die Eurokrise bleiben. Deren akute Phase dürfte inzwischen zwar vorüber sein: Vor allem dank der Europäischen Zentralbank ist von Staatsbankrotten und Euro-Austritten inzwischen keine Rede mehr. Doch aus der heftigen Krise droht nun eine chronische Krankheit zu werden, die kaum weniger fatal ist: Nach Angaben des Statistischen Amts der EU waren im Juli 2014 fast 25 Millionen Europäer arbeitslos, was einer Quote von 11,5% der Erwerbsbevölkerung entspricht. Die europaweite Langzeitarbeitslosigkeit lag 2013 bei einem Allzeithoch von 5,1% – fast doppelt so hoch wie vor der Krise, Tendenz weiter steigend. Zugleich fiel die Inflationsrate in der Eurozone auf zuletzt nur noch 0,3%, was der Vorbote einer langen wirtschaftlichen Flaute sein könnte.

Entsprechend groß ist unter den Kommissarskandidaten das Drängen um die prominenten Wirtschaftsressorts. Bereits Anfang Juli hatte Juncker erklärt, dass das Portfolio Wirtschaft und Währung (bisher Olli Rehn, Kesk./ALDE) diesmal an einen Sozialdemokraten gehen sollte. Als Favoriten für das Amt galten deshalb der Niederländer Jeroen Dijsselbloem (PvdA/SPE) und der Franzose Pierre Moscovici (PS/SPE). Allerdings ist Dijsselbloem mit Juncker persönlich zerstritten, und Moscovici stößt bei der deutschen Bundesregierung auf Widerstand – vor allem, da der Währungskommissar auch für die Kontrolle der nationalen Haushaltsdefizite zuständig ist und Moscovici nicht als besonders überzeugter Unterstützer der Sparpolitik der letzten Jahre gilt.

Weitere Wirtschaftsressorts

Aber es gibt ja noch weitere Kommissarsposten mit großem Einfluss auf die europäische Wirtschaft, und nichts schreibt vor, dass man die Ressorts nicht auch neu zuschneiden könnte. So war zuletzt im Gespräch, ein neues Vizepräsidentenamt zu schaffen, das sich mit allen Fragen von Investitionen und Wachstumsförderung beschäftigen sollte. Für Moscovici könnte das geradezu ideal geeignet sein, auch wenn die genaue Abgrenzung von den bisherigen Wirtschaftsressorts nicht immer leicht fallen dürfte.

Darüber hinaus hat Juncker angekündigt, dass ein Schwerpunkt seiner Wirtschaftsstrategie auf dem „digitalen Binnenmarkt“ liegen soll. Das zuständige Ressort (bisher Neelie Kroes, VVD/ALDE) dürfte deshalb an Bedeutung zulegen. Auch der neue Sozialkommissar (bisher László Andor, MSZP/SPE) könnte an Einfluss gewinnen – etwa wenn in den nächsten Jahren die Frage einer europäischen Arbeitslosenversicherung auf die Tagesordnung kommt. Weniger wichtig als jetzt könnte hingegen das Ressort Binnenmarkt (bisher Michel Barnier, UMP/EVP) werden, vor allem, wenn Juncker seine Überlegung wahr macht, für den Bereich Finanzmärkte einen eigenen Kommissar zu ernennen.

Darüber hinaus wird es wohl weiterhin noch zahlreiche weitere Wirtschaftsressorts geben, z. B. für Wettbewerb (bisher Joaquín Almunia, PSOE/SPE) oder Industrie (bisher Antonio Tajani, FI/EVP). Allerdings werden all diese Ressorts auch nötig sein, um die vielen Kommissarsanwärter zu versorgen, die an einem Wirtschaftsposten interessiert sind: unter anderem der Brite Jonathan Hill (Cons./AECR), der Portugiese Carlos Moedas (PSD/EVP), der Finne Jyrki Katainen (Kok./EVP), der Lette Valdis Dombrovskis (V/EVP) und der Este Andrus Ansip (RE/ALDE).

Außenhandel und Energie gewinnen an Bedeutung

Zwei weitere Ressorts, auf die in den nächsten Jahren große Aufgaben zukommen, sind Außenhandel (bisher Karel de Gucht, Open-VLD/ALDE) und Energie (bisher Günther Oettinger, CDU/EVP). So wird es wohl die jetzt neu ernannte Kommission sein, die die Verhandlungen über das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP zum Abschluss bringt. Der neue Handelskommissar wird deshalb mit Sicherheit einigen Ärger abbekommen, zugleich aber auch viel gestalten können. Entsprechend hoch ist das Interesse an dem Job: Als Favorit gilt der Deutsche Günther Oettinger (CDU/EVP), in Frage kämen aber zum Beispiel auch Hill, Katainen oder die Niederländerin Lilianne Ploumen (PvdA/SPE).

Das Energieressort wiederum hat vor allem durch die aktuellen Konflikte in der Ukraine an Bedeutung gewonnen. Derzeit sind viele östliche Mitgliedstaaten sehr stark von russischen Gasimporten abhängig, was auch an der schlechten Vernetzung der EU-Energieinfrastruktur liegt. Die polnische Regierung forderte vor einigen Monaten gar, die europäischen Energieimporte künftig im Rahmen einer „Energieunion“ komplett zu zentralisieren. Der Pole Radek Sikorski (PO/EVP) gilt dementsprechend als einer der wichtigsten Interessenten an dem Portfolio.

Wenig Interessenten für Klimaschutz, viele für Landwirtschaft

Erstaunlich wenig Beachtung fand zuletzt zudem das Ressort Klimaschutz (bisher Connie Hedegaard, K/EVP). Während der Eurokrise standen in der EU viele Fabriken still, was ganz von selbst den CO2-Ausstoß verringerte. Wenn die Industrie in den nächsten Jahren wieder anspringt, wird die EU jedoch neue Anstrengungen im Bereich erneuerbare Energien und Energieeffizienz unternehmen müssen, um die Klimaziele zu erreichen. Klare Interessenten für den Posten scheint es derzeit allerdings nicht zu geben.

Bei den Ressorts, die besonders viel Geld zu verteilen haben, ist die Nachfrage hingegen groß. Sowohl der derzeitige Kommissar für Landwirtschaft (Dacian Cioloș, EVP) als auch der für Regionalpolitik (Johannes Hahn, ÖVP/EVP) würden gern ihr Amt behalten. Cioloș bekommt dabei jedoch Konkurrenz von dem Spanier Miguel Arias Cañete (PP/EVP) und dem Iren Phil Hogan (FG/EVP), Hahn unter anderem von der Tschechin Věra Jourová (ANO/ALDE).

Neue Ressorts für Migration und Grundrechte

Während sich um die Wirtschaftsressorts also sehr viele Kommissarsanwärter balgen, sieht es im Bereich Justiz und Inneres etwas entspannter aus. In der Rede vor seiner Wahl im Europäischen Parlament kündigte Juncker im Juli an, er werde einen neuen Kommissarsposten schaffen, der ausschließlich für Migrationsfragen zuständig ist – was nach hunderten Toten vor Lampedusa in den letzten Jahren sicher eine drängende Aufgabe ist. Junckers Ziel ist es dabei, einerseits die legale Zuwanderung in die EU zu erleichtern, andererseits die illegale effektiver zu verhindern. Infrage käme für den Posten zum Beispiel der Grieche Dimitris Avramopoulos (ND/EVP).

Ein weiteres Kommissionsmitglied soll, wie Juncker ebenfalls in seiner Rede ankündigte, speziell für die Einhaltung der EU-Grundrechtecharta und die Rechtsstaatlichkeit zuständig sein. Bedeutung dürfte dieser Posten vor allem in der Auseinandersetzung mit der ungarischen Regierung unter Viktor Orbán (Fidesz/EVP) erlangen, die sich in jüngster Zeit immer deutlicher von den europäischen Grundwerten entfernt. Als wichtigste Interessentin für das Amt gilt die Schwedin Cecilia Malmström (FP/ALDE), die zuletzt bereits Innenkommissarin war. Wie genau sich die Aufgabenverteilung zwischen dem neuen Grundrechte- und dem alten Justizressort (bisher Viviane Reding, CSV/EVP) gestalten wird, ist allerdings noch etwas unklar. 

Der außenpolitische Bereich

Auch im außenpolitischen Bereich gibt es noch eine ganze Reihe von Posten zu besetzen. Neben der Hohen Vertreterin (bisher Catherine Ashton, Lab./SPE) gab es hier bisher einen Kommissar für Entwicklungspolitik (Andris Piebalgs, LC/ALDE), eine für Humanitäre Hilfe (Kristalina Georgieva, EVP) und einen für Erweiterung und Nachbarschaftspolitik (Štefan Füle, SPE-nah).

Allerdings versprechen all diese Posten (möglicherweise mit Ausnahme des Nachbarschaftsressorts) in den nächsten Jahren keine besonders prestigeträchtigen Aufgaben, sodass das Interesse daran eher gering ist. Die Bulgarin Georgieva, die in den letzten Wochen Mogherinis wichtigste Konkurrentin um das Amt der Hohen Vertreterin war, sowie Sikorski und Avramopoulos, die in der Vergangenheit ebenfalls mit dem Amt des Hohen Vertreters geliebäugelt haben, scheinen jedenfalls andere Positionen anzustreben.

Kleinere Ressorts

Auch in den nächsten Jahren wird es außerdem natürlich wieder einen Haushaltskommissar geben, der das EU-Budget verwaltet (bisher Janusz Lewandowski, PO/EVP) – durchaus ein prominentes Amt, auch wenn hier nach der Verabschiedung des mehrjährigen Finanzrahmens für 2014-2020 erst einmal keine großen neuen Entscheidungen anstehen. Auch der Kommissar für institutionelle Beziehungen und Verwaltung (bisher Maroš Šefčovič, SPE-nah) wird weiterhin wichtig bleiben, aber wohl eher hinter den Kulissen tätig sein. Und dann gibt es natürlich noch die vielen „kleineren“ Ressorts: Das Gesundheitsportfolio etwa (bisher Tonio Borg, PN/EVP) dürfte an Vytenis Andriukaitis (LSDP/SPE) gehen, der sich als gelernter Arzt und derzeitiger litauischer Gesundheitsminister wohl als einziger Kandidat ernsthaft dafür interessiert.

Ebenfalls wenig prominent blieben in den letzten Jahren die Ressorts Fischerei, Umwelt, Verbraucherschutz, Steuern und Zollunion, Forschung, Verkehr sowie Bildung, Kultur, Jugend und Mehrsprachigkeit. Ob es sie in Zukunft in dieser Form weiterhin gibt und wer dann dafür zuständig ist, wird sich erst zeigen, wenn Juncker seine finale Liste präsentiert – und das Europäische Parlament darüber entscheiden wird, ob es mit diesem Ergebnis der langwöchigen Verhandlungen einverstanden ist.

Bild: By Jean-Claude Jucnker (junckerepp) [CC BY-NC 2.0], via Flickr.

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